Auf ein großartiges neues Jahr voller Möglichkeiten, Glitzer und eine einmalige Gelegenheit, uns das Internet wieder anzueignen!
Das unordentliche, wilde und durchaus auch seltsame und unappetitliche Internet der 90er und 00er Jahre wurde ab den 10er Jahren von den Plattformen verschluckt, genormt, monetarisiert und weichgespült wieder ausgeschieden.
Wie aus hippen Social Media Entrepreneuren in wenigen Jahren „die grauen Herren“ wurden.
Genau zur rechten Zeit flüchteten die ersten Leute von Facebook, und als Musk kürzlich auch noch mit einem ganzen Schwung Faschos Twitter übernahm, flohen Massen ins Fediverse, einem herrlich unordentlichen Knäuel unabhängiger, aber verbundener und föderierender Communities. Mastodon wuchs, und damit das gesamte Fediverse. Bei Mastodon ging es schon länger, also eigentlich seit das Fediverse überhaupt existiert, um das Persönliche. In „meiner“ Ecke des Fediverse wird ausgiebig diskutiert, ob und zu welchen Themen Contentwarnings und Triggerwarnungen gesetzt werden, die Bilder werden beschrieben, damit auch Sehbehinderte teilnehmen können, kurz: Es wird viel mehr Wert auf die Menschen gelegt, eine gewisse Wohlfühlatmosphäre wird diskutiert, erzeugt, aktualisiert und mit Zähnen und Klauen verteidigt.
Die Leute haben einfach die Nase voll, von diesen „Sozialen Medien“ monetarisiert und depersonalisiert zu werden. Ihnen dämmert, dass sie schließlich de-sozialisiert und atomisiert werden sollen, um ihnen noch mehr Scheiss via Werbung zu verkaufen. Die neuen, shiny Plattformen bannen unsere Aufmerksamkeit, um uns noch mehr Werbung unterzuschieben. Wie Jeff Hammerbacher, ein früher Facebook-Mitarbeiter 2010 so treffend formulierte:
„The best minds of my generation are thinking about how to make people click ads. That sucks."
Die grauen Herren, die Zeitdiebe, stellten sich uns als junge, hippe Social Media Millionäre vor, die nur mal kurz die Welt retten wollten. Statt soziale Innovationen voranzutreiben, wollten sie aber einfach nur unglaubliche Mengen Geld anhäufen. Alls das Talent, all die Energie, die dafür aufgewendet wurden, den Zeigefinger von Menschen zu manipulieren und ihn zum Klick anzuregen. Das ist das wirklich beschämende der frühen 2000er-Jahre.
Am Anfang glaubten wir ihnen noch: das neue, bessere und viel sozialere Netz, mit dem es endlich möglich werden sollte, nur einem Klick neue Freundschaften zu schließen und Gleichgesinnte zu finden. Die Welt wuchs gefühlt ein bisschen zusammen. Als dann tatsächlich „Alle“ dort waren, war es kaum mehr möglich, sich nicht auch in diesen Silos aufzuhalten. Damit man möglichst lange dort verweilte (und viel Werbung sehen musste) entwickelten sie neue Features, die alle ganz toll „praktisch“ waren – aber im Grunde keine neuen Erfindungen. Ein Kalender, hui.
Auftritt: KI
Liu Cixin bietet eine Lösung zum Fermi-Paradoxon, indem er das Universum als einen Dunklen Wald beschreibt, in dem Zivilisationen aus Selbstschutz verborgen bleiben. Diese Metapher kann auf das Internet übertragen werden, wo Nutzer sich zunehmend in private Räume zurückziehen, um sich vor digitalen Bedrohungen zu schützen. Die Entwicklung und Verbreitung von KI verändert die digitale Landschaft noch drastischer und die Unterscheidung zwischen menschlichem und künstlichem Content wird immer schwieriger. Die Nutzer ziehen sich immer weiter in private Kommunikationsräume zurück. Der traditionelle Turing-Test misst, ob eine Maschine denken bzw. sprechen kann wie ein Mensch. Im Dunklen Wald des Internets entsteht nun die Notwendigkeit eines umgekehrten Turing-Tests: Menschlichkeit nachzuweisen.
Abgang der KI: von Menschen geschriebener Text muss vor den Maschinen versteckt werden
Es gibt zu jedem „Nischenthema“ zig Blogs mit schlechten Artikeln, mit dem Aufkommen von kostenloser bis kostengünstiger KI ist es ein Leichtes, rein werbegetriebene Blogs reihenweise hochzuziehen. Die Klicks, die von den Suchmaschinen kommen, bringen Geld. Suchmaschinen interessiert es nicht, ob der Artikel gut ist, ob er „von Hand“ geschrieben wurde oder ob eine Maschine die Texte generierte. Wenn dann ein paar Affiliate-Links eingestreut werden, lohnt sich der Aufwand, so ein hässliches, unansehnliches und unlesbares Etwas aus dem Ärmel zu schütteln. Da die KIs aus dem Internet lernen, kannibalisieren sie sich später mit ihrem eigenen halluzinierten Wissen, welches dann wieder „Wissen“ und weiteren endlosen Text hervorbringt, welcher dann wieder die KI füttert. Ein endloser Bullshit-Kreislauf. Das textbasierte, freie Internet ist verloren.
Aktuell ist das die einzige Lösung, um sich vor räuberischer KI zu schützen: die Nutzung von Paywalls, Memberships, Subscriber-only-Content. Diesen Weg gehe ich hier auch. Nur angemeldete Leser können mitlesen. Das ist aktuell so, und ich bin gespannt, wie sich das Netz entwickelt und ob diese rigorose Abschottung zwischen Mensch und Maschine weiterhin sein, ob sie womöglich sogar noch zunehmen muss, möglicherweise auch in anderen Bereichen. Wir werden sehen.
Antidot
Die unfassbare Ironie unserer kollektiven Dummheit ist, dass wir fast zwanzig Jahre Wachstum und Kreativität im Internet verloren haben, weil wir uns freiwillig in einige wenige werbegesteuerte Silos eingesperrt haben, die uns kollektiv stärker auseinandergetrieben und polarisiert haben als je zuvor. Unsere eigenen Websites zu besitzen, unsere eigenen Texte zu schreiben, unseren eigenen Gedanken Ausdruck zu verleihen, ist eine langfristige Strategie und das Gegenmittel gegen die algorithmische Welt. So macht Internet auch wieder Spaß.
Anil Dash, Autor beim Rolling Stone, dazu:
There should be lots of different, human-scale alternative experiences on the internet that offer up home-cooked, locally-grown, ethically-sourced, code-to-table alternatives to the factory-farmed junk food of the internet. And they should be weird.
Gebt mir unmögliche Farben und Stile! Gebt mir wieder Originalität! Gebt mir das "selbst gekochte, lokal gewachsene, ethisch aufgezogene, Code-to-Table-Internet" voller verrückter und kreativer Seiten!
Das Internet zurückerobern
Wenn ich alles in einer Reihe von Empfehlungen für das Jahr 2024 zusammenfassen müsste, würde ich das wiedergeben, was Anil oben gesagt hat:
Erstelle eine Website, starte einen Newsletter, mach dein eigenes Ding
Besitze, besetze und beanspruche dein eigenes Web
Hab Spaß, experimentiere, programmiere
Unterstütze menschliche Kreative, keine Konzerne. Auch mit Geld.
Kümmere dich nicht um Marketing oder „Growth Mindset“, sondern schaffe etwas Persönliches
Hab Spaß am Gerät
Auf ein großartiges neues Jahr voller Möglichkeiten, Glitzer und eine einmalige Gelegenheit, uns das Internet wieder anzueignen!
Das unordentliche, wilde und durchaus auch seltsame und unappetitliche Internet der 90er und 00er Jahre wurde ab den 10er Jahren von den Plattformen verschluckt, genormt, monetarisiert und weichgespült wieder ausgeschieden.
Wie aus hippen Social Media Entrepreneuren in wenigen Jahren „die grauen Herren“ wurden.
Genau zur rechten Zeit flüchteten die ersten Leute von Facebook, und als Musk kürzlich auch noch mit einem ganzen Schwung Faschos Twitter übernahm, flohen Massen ins Fediverse, einem herrlich unordentlichen Knäuel unabhängiger, aber verbundener und föderierender Communities. Mastodon wuchs, und damit das gesamte Fediverse. Bei Mastodon ging es schon länger, also eigentlich seit das Fediverse überhaupt existiert, um das Persönliche. In „meiner“ Ecke des Fediverse wird ausgiebig diskutiert, ob und zu welchen Themen Contentwarnings und Triggerwarnungen gesetzt werden, die Bilder werden beschrieben, damit auch Sehbehinderte teilnehmen können, kurz: Es wird viel mehr Wert auf die Menschen gelegt, eine gewisse Wohlfühlatmosphäre wird diskutiert, erzeugt, aktualisiert und mit Zähnen und Klauen verteidigt.
Die Leute haben einfach die Nase voll, von diesen „Sozialen Medien“ monetarisiert und depersonalisiert zu werden. Ihnen dämmert, dass sie schließlich de-sozialisiert und atomisiert werden sollen, um ihnen noch mehr Scheiss via Werbung zu verkaufen. Die neuen, shiny Plattformen bannen unsere Aufmerksamkeit, um uns noch mehr Werbung unterzuschieben. Wie Jeff Hammerbacher, ein früher Facebook-Mitarbeiter 2010 so treffend formulierte:
Die grauen Herren, die Zeitdiebe, stellten sich uns als junge, hippe Social Media Millionäre vor, die nur mal kurz die Welt retten wollten. Statt soziale Innovationen voranzutreiben, wollten sie aber einfach nur unglaubliche Mengen Geld anhäufen. Alls das Talent, all die Energie, die dafür aufgewendet wurden, den Zeigefinger von Menschen zu manipulieren und ihn zum Klick anzuregen. Das ist das wirklich beschämende der frühen 2000er-Jahre.
Am Anfang glaubten wir ihnen noch: das neue, bessere und viel sozialere Netz, mit dem es endlich möglich werden sollte, nur einem Klick neue Freundschaften zu schließen und Gleichgesinnte zu finden. Die Welt wuchs gefühlt ein bisschen zusammen. Als dann tatsächlich „Alle“ dort waren, war es kaum mehr möglich, sich nicht auch in diesen Silos aufzuhalten. Damit man möglichst lange dort verweilte (und viel Werbung sehen musste) entwickelten sie neue Features, die alle ganz toll „praktisch“ waren – aber im Grunde keine neuen Erfindungen. Ein Kalender, hui.
Auftritt: KI
Liu Cixin bietet eine Lösung zum Fermi-Paradoxon, indem er das Universum als einen Dunklen Wald beschreibt, in dem Zivilisationen aus Selbstschutz verborgen bleiben. Diese Metapher kann auf das Internet übertragen werden, wo Nutzer sich zunehmend in private Räume zurückziehen, um sich vor digitalen Bedrohungen zu schützen. Die Entwicklung und Verbreitung von KI verändert die digitale Landschaft noch drastischer und die Unterscheidung zwischen menschlichem und künstlichem Content wird immer schwieriger. Die Nutzer ziehen sich immer weiter in private Kommunikationsräume zurück. Der traditionelle Turing-Test misst, ob eine Maschine denken bzw. sprechen kann wie ein Mensch. Im Dunklen Wald des Internets entsteht nun die Notwendigkeit eines umgekehrten Turing-Tests: Menschlichkeit nachzuweisen.
Abgang der KI: von Menschen geschriebener Text muss vor den Maschinen versteckt werden
Es gibt zu jedem „Nischenthema“ zig Blogs mit schlechten Artikeln, mit dem Aufkommen von kostenloser bis kostengünstiger KI ist es ein Leichtes, rein werbegetriebene Blogs reihenweise hochzuziehen. Die Klicks, die von den Suchmaschinen kommen, bringen Geld. Suchmaschinen interessiert es nicht, ob der Artikel gut ist, ob er „von Hand“ geschrieben wurde oder ob eine Maschine die Texte generierte. Wenn dann ein paar Affiliate-Links eingestreut werden, lohnt sich der Aufwand, so ein hässliches, unansehnliches und unlesbares Etwas aus dem Ärmel zu schütteln. Da die KIs aus dem Internet lernen, kannibalisieren sie sich später mit ihrem eigenen halluzinierten Wissen, welches dann wieder „Wissen“ und weiteren endlosen Text hervorbringt, welcher dann wieder die KI füttert. Ein endloser Bullshit-Kreislauf. Das textbasierte, freie Internet ist verloren.
Aktuell ist das die einzige Lösung, um sich vor räuberischer KI zu schützen: die Nutzung von Paywalls, Memberships, Subscriber-only-Content. Diesen Weg gehe ich hier auch. Nur angemeldete Leser können mitlesen. Das ist aktuell so, und ich bin gespannt, wie sich das Netz entwickelt und ob diese rigorose Abschottung zwischen Mensch und Maschine weiterhin sein, ob sie womöglich sogar noch zunehmen muss, möglicherweise auch in anderen Bereichen. Wir werden sehen.
Antidot
Die unfassbare Ironie unserer kollektiven Dummheit ist, dass wir fast zwanzig Jahre Wachstum und Kreativität im Internet verloren haben, weil wir uns freiwillig in einige wenige werbegesteuerte Silos eingesperrt haben, die uns kollektiv stärker auseinandergetrieben und polarisiert haben als je zuvor. Unsere eigenen Websites zu besitzen, unsere eigenen Texte zu schreiben, unseren eigenen Gedanken Ausdruck zu verleihen, ist eine langfristige Strategie und das Gegenmittel gegen die algorithmische Welt. So macht Internet auch wieder Spaß.
Anil Dash, Autor beim Rolling Stone, dazu:
Gebt mir unmögliche Farben und Stile! Gebt mir wieder Originalität! Gebt mir das "selbst gekochte, lokal gewachsene, ethisch aufgezogene, Code-to-Table-Internet" voller verrückter und kreativer Seiten!
Das Internet zurückerobern
Wenn ich alles in einer Reihe von Empfehlungen für das Jahr 2024 zusammenfassen müsste, würde ich das wiedergeben, was Anil oben gesagt hat:
Auf ein großartiges neues Jahr voller Möglichkeiten, Glitzer und eine einmalige Gelegenheit, uns das Internet wieder anzueignen!
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